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Heute möchte ich euch einen Text vorstellen, den die Rettungsschnepfe vor ein paar Wochen auf ihrem Weblog veröffentlicht hat. Sie blogt seit März 2010 unter dem Synonym Sanny T. Eterin beziehungsweise Rettungsschnepfe über ihr Leben als Mama und vor allem ihre Arbeit als Rettungsassitentin und angehende Lehrrettungsasstentin. Besonders bemerkenswert an ihren Texten sind ihr feiner Humor, der stille Sarkasmus und die sehr bildhafte Beschreibung, die den Leser sehr nahe an das Geschehen bringen. Allgemein sind ihre Berichte für gewöhnlich sehr lesenswert und kurzweilig. Dieser spezielle jedoch hat mich so tief berührt, dass ich ihn gerne weitergeben wollte.

Der Text „Tears in August – Brief an meinen besten Freund“ war ursprünglich geplant als Beitrag zum National Novel Writing Month, einer sich jährlich wiederholenden Veranstaltung bei der es darum geht innerhalb eines Monats eine Novelle oder Kurzgeschichte von mehr als 50 000 Worten zu verfassen. Wer den Text ließt wird wahrscheinlich schnell verstehen, warum sie letztendlich nicht teilgenommen hat.

Die Geschichte handelt von einer jungen Frau, eigentlich noch eher einem Mädchen, das ihren besten Freund im Alter von 17 Jahren an den Krebs verliert. Der Text beschreibt eine kurze aber nicht minder anstrengende Reise, der das lyrische Ich innerhalb weniger Tage sehr reifen lässt. Immer wieder wird der inhaltliche Verlauf durch Rückblenden unterbrochen durch die der Leser einen kleinen Einblick in das Leben des Verstorbenen erhält. Die Beziehungen zwischen den einzelnen Nebenfiguren kristallisiert sich nicht heraus, doch ein leitendes Motiv ist die Freundschaft. Kurz Andeutungen lassen vermuten, dass das Mädchen vor allem durch ihren Freund überhaupt in diese Welt hinein gefunden hat. Es ist die Rede von gemeinsamen Freunden, außerdem hat er sie auf dem Schulhof beschützt. Auch der Schulwechsel des lyrischen Ichs lässt vermuten, dass sie eventuell nicht das leichteste Schulleben hatte. Auf der Beerdigung ist die Rede von zahlreichen Fremden, ein gewisser Unterton lässt darauf schließen, dass sie davon nicht allzu begeistert ist. Erst nach der Beerdigung begreift sie tatsächlich, dass er jetzt tot ist, nicht mehr da, obwohl sie schon vorher von sich behauptet, verstanden zu haben. Doch umgeben von Freunden, die für ihre Lage sensibel sind wird sie weggeführt, um die Wut ‚herausschreien‘ zu können. An dieser Stelle wird auch erwähnt, dass, obwohl die Frage nie zwischen ihnen stand, doch immer ein kleines bisschen Eifersüchtig Seitens des festen Freundes gegenüber dem besten da war. Ein typisches Phänomen. Sie haben einander nicht gemocht. Am Ende des Textes sagt das lyrische Ich, sie hätten den von damals ‚in den Wind geschossen‘ und ihren jetzigen Partner hätte er gemocht. Der Text ist aufgebaut wie ein Brief in dem das lyrische Ich 12 Jahre nach dem Tod seines besten Freundes nochmal mit dem tragischen Erlebnis auseinander setzt. Sie nutzt dieses Medium, um sich verspätet zu verabschieden und um sich zu entschuldigen, dass sie es nicht schafft, sein Grab zu besuchen. Der Leser wird sehr sanft und anschaulich an das Thema herangeführt, durch die Perspektive des Ich-Erzählers ist er sehr nah am Geschehen und fühlt sehr stark mit. Durch die kurze Satzbildung und sehr bildhafte Wortwahl geht der Text sehr Nahe, bricht auf fast unangenehme Weise in die Intimität der Gefühlswelt des Lesers ein. Der tiefe Einschnitt in das Leben des lyrischen Ichs ist deutlich spürbar, Distanz ist quasi nicht vorhanden. Erst der letzte Absatz, der sehr kurz gehalten ist, entschädigt den Text, denn das Mädchen erinnert sich noch immer gerne an den Freund zurück, hat das Erlebnis verarbeitet und lebt jetzt ein glückliches Leben mit einem Mann, der augenscheinliche Ähnlichkeit mit dem verlorenen Freund hat.

 

Tears in August

Ich stehe in dem Klinikflur vor deiner Zimmertür. Gerade unten auf dem Parkplatz habe ich meine Mutter getroffen, die mir erzählt hat, wie gut es dir geht. Klar – die Infusionsschläuche und ein bisschen blass wärst du um die Nase. Aber immerhin wäre deine Laune nicht getrübt und dir wäre es lieber, es wäre Weißbier, was dir da durch die Schläuche in die Venen schießt. Ich halte die Türklinke in der Hand. Eigentlich wollte ich dir stolz wie Oskar heute erzählen, dass ich von meinem Onkel eine Achtziger bekommen habe und nicht mehr diesen lahmen Roller fahren muss. Ich bin auch mit der Achtziger heute da, wir haben sie heute Morgen gleich angemeldet und ich bin sofort mit ihr dich besuchen gefahren. Aber mir fehlt die Kraft. Ich schaffe es nicht, die Türklinke hinunter zu drücken. Viel zu groß ist die Angst, was mich dahinter erwartet. Du bist mein bester Freund. Ich will dich nicht krank sehen. Du bist der, der mich auf dem Schulhof all die Jahre bis ich die Schule gewechselt habe, verteidigt hat. Du bist der, mit dem ich auf den Bäumen in eurem Garten herumgetobt habe. Du bist jeden Morgen mit mir zur Schule gelaufen und hast mich abgeholt, auch wenn der kleine Umweg nicht direkt auf deinem Weg lag. Und wie du meiner Mutter als neunmalkluger Grundschüler erzählt hast, dass du ja gar nicht versichert wärst, wenn dir auf dem Weg etwas passieren würde. Du wohntest zwei Häuser neben mir. Uns haben unsere Eltern mit 13 verboten, zusammen in einem Zelt zu schlafen und wir bekamen auf die Frage „Warum?“ nur die Antwort: „Weil man das in euerm Alter nicht mehr macht!“ Nie haben wir daran gedacht. Doch. Mit 12 fragtest du mal, ob wir „es“ ausprobieren sollen. Und gemeinsam haben wir beschlossen „Neeeeee!“. Und jetzt bist du krank. Sehr krank.

Vorgestern hat deine Mutter bei uns angerufen. Du wärst im Krankenhaus. Auf der Arbeit bist du krampfend zusammengebrochen und mit dem Notarzt ins Krankenhaus gekommen. Im CT stellte man fest, du hast Metastasen. Überall. Im Gehirn, in der Lunge, in der Leber. Seit Monaten bist du mit einem Tumor im Hoden umhergelaufen und hast dich nicht getraut etwas zu sagen. Deine Eltern lassen sich gerade scheiden und du hast keine Ahnung, zu wem du gehen kannst. Und mit 17 ist das glaub ich auch wirklich ein sehr unangenehmes Thema. Und jetzt? Krebs. Mit 17. Heilungschancen sehr gering. Nur die Wahrheit sagen möchte mir keiner. Leute – ich arbeite beim Arzt. Ich weiß, wie schlimm Krebs ist. Und ich weiß, dass es nichts Gutes ist, wenn er gestreut hat. Packt mich nicht in Watte – redet mit mir.

Ich stehe immer noch vor deinem Krankenzimmer. Mir fehlt immer noch die Kraft, die Türklinke zu betätigen. Ich will dich nicht krank sehen. Ich schüttele den Kopf und drehe mich herum. „Morgen. Ganz sicher morgen. Heute nicht.“
Zu Hause frägt mich meine Mutter „Und, wie schlimm war es?“ „Ich hab mich nicht getraut.“ Und ich fange an zu weinen. Meine Mutter nimmt mich in den Arm. Und wir reden die ganze Nacht. Du schaffst das, du bist ein Kämpfer. Du gibst nicht auf. Der Krebs kriegt dich nicht klein. Ich frage meine Mutter, was denn passiert, wenn du stirbst. „Denk nicht daran, er wird nicht sterben. Morgen gehst du hin und wirst sehen, dass es gar nicht so schlimm ist.“ Sie drückt mich, gibt mir seit langer Zeit mal wieder einen Kuss auf die Stirn und ich gehe ins Bett. Du schaffst das!

Ich höre das Telefon klingeln. Meine Augen verraten mir, dass es früh am Morgen ist. Meine Mutter nimmt ab. Was denn passiert ist, frage ich mich. Wird schon nichts schlimmes sein. Du stirbst schließlich nicht. Dennoch igele ich mich unruhig in mein Bett ein. Meine Mutter kommt in mein Zimmer. Sie schluckt, die Augen sind rot. Geweint hat sie nicht. Ich setze mich auf, schüttle den Kopf und flüstere „Neinneinneinnein“. DU STIRBST NICHT!! Sie setzt sich auf mein Bett, streichelt mir über den Kopf. „Seine Mama hat mich gerade angerufen. Er ist heute Nacht gestorben“. Jetzt weint sie. Ich möchte schreien, ich möchte weinen. Aber ich kann nicht. Ich nehme meine Mama in den Arm. Sie weint. Ich nicht. „Ich muss telefonieren“ „Ich auch“. Sie wischt sich die Tränen von der Wange und geht ins Wohnzimmer. Ich wandere nahezu apathisch ins Schlafzimmer und wähle die Nummer eines gemeinsamen Freundes. „Er ist tot“ – er weint. Ich nicht. „Rufst du bitte die andern an?“ „Ja, mache ich.“ Ich gehe zurück in mein Zimmer. Unten höre ich meine Mutter weinen und meinen Vater fragen:  „Wie geht es ihr?“ „Ich glaube, sie versteht es nicht.“ Und wie ich es verstehe. Ich setze mich auf mein Bett. Auf dem Regal an dem Fußende meines Bettes steht ein Teddybär. Den hast du mir geschenkt. „Ein 14 jähriger Junge braucht keinen Teddy“ hattest du mir gesagt. Das war vor 3 Jahren. Ich nehme mir den Teddy und drücke ihn an mich. Und ich versuche mich an dein Lachen zu erinnern. Du hast eigentlich immer gelacht. Außer damals, als so ein Idiot deine Katze vergiftet hatte. Da hast du geweint. Das war das Einzige mal, dass ich dich weinen sah. Du saßest auf unserer Mauer und hast auf mich gewartet nach der Schule. Ich habe mich neben dich gesetzt und du hast mir erzählt, was mit deiner Katze passiert ist. Und du hast geweint. Ausnahmsweise habe ich mal meinen Arm um dich gelegt – und nicht umgekehrt. Aber ansonsten hast du eigentlich immer gelacht. Und einen dummen Spruch gebracht, um mich aufzuheitern. Ich sehe dein Lachen nicht. Auch wenn ich ach so stark versuche mich daran zu erinnern. Es geht nicht. Jetzt weine ich. Hemmungslos. Unaufhaltsam. Die Tränen rinnen in Sturzbächen. Aber stumm. Immer noch möchte ich schreien, diesen Schmerz hinaus schreien. Aber es geht nicht. Ich schlafe ein. Vielleicht war es einfach nur ein böser Traum. Und ich kann dich nachher wie geplant im Krankenhaus besuchen. Meine Mutter weckt mich auf. „Telefon für dich.“ Meine Mutter sieht scheiße aus. Sie hat geweint. Es war kein Traum. Wieder schießen mir die Tränen in die Augen. „Hallo, ich bins.“ Meine Freundin. „Hallo…“ „Was ist denn los, ich wollte dich fragen, ob du nachher mit mir in die Stadt magst.“ „Er ist tot!“ „Verarsch mich nicht, komm. Da macht man keine Scherze.“ Ich schluchze. Sie merkt wohl, dass es mein ernst ist. Sie weint. „Ich komm nachher vorbei, wir müssen was planen“ sage ich zu ihr und lege auf. Ich muss hier raus. Ich werde erdrückt. Erdrückt von der Trauer und dem Schmerz. Ich gehe apathisch ins Wohnzimmer, schnappe mir meinen Motorradhelm. „Wo willst du hin?“ Meine Mutter spritzt von der Couch und stürmt an den Schlüsselkasten. „Ich fahre zu ihr.“ „Du fährst nirgends hin, du kannst so nicht fahren!“ und schnappt sich meinen Schlüssel der Achtziger. Ich schreie sie an. „Gib mir meinen Schlüssel, ich muss hier raus!“ „Du kannst so nicht fahren, Kind. Dir passiert was!“ „Dann fahr du mich, aber ich muss verdammt nochmal hier raus!!“ „Ich kann nicht, dein Vater ist zu seinem Vater gefahren. Ich hab kein Auto da.“ „Dann lass mich fahren!“ „Nicht mit der Achtziger, nimm den Roller!“ „Gut. Hauptsache du lässt mich fahren!“
Sie drückt mir den Schlüssel des Rollers in die Hand. Ich mach die Haustür auf und sie ruft mir noch hinterher. „Aber pass auf dich auf!“ Ich höre sie fast nicht mehr. Ich starte den Roller und fahre los. Fast die ganze Strecke laufen mir die Tränen.

Warum hatte ich gestern nicht den Mut? Wieso konnte ich es nicht? So hätte ich dich wenigstens noch einmal lebend gesehen. Und was hab ich nun? Die Erinnerung. Nichts mehr als die Erinnerung.

Meine Freundin öffnet mir die Haustür. Weinend fällt sie mir um den Hals. Sie weiß, dass es jetzt besser ist, mich nicht zu fragen, wie es mir geht. Ich glaube, jeder kann sich denken, wie es mir geht. Zur Hölle nochmal, ich bin 16 und mein bester Freund ist heute gestorben, einfach so. Ohne Vorwarnung! Mit 17!

Die nächsten Tage erlebe ich nur beiläufig. Wie neben der Spur. Alles ist von einem Nebel belegt. Zwei Tage später kann ich nicht mehr weinen. Ich habe einfach keine Tränen mehr. Meine anderen Freunde tuen alles, was in ihrer Macht steht, um mich aufzuheitern oder abzulenken. So wie es ihnen möglich ist. Du warst ja auch ein Freund von ihnen. Dein Verlust macht auch ihnen schwer zu schaffen.  Wir spazieren durch den Ort. An deinem Elternhaus vorbei. Deine Mutter steht in eurem Vorgarten. Sie winkt mich zu sich und nimmt mich in den Arm. Wir weinen beide. Meine Mutter erzählte mir, dass du seit heute in der Aussegnungshalle des Friedhofs hier bist. Übermorgen ist deine Beerdigung.
„Ich will ihn sehen.“
„Ich lass dich nicht zu ihm!“
„Warum nicht?“
„Das schaffst du nicht. Nicht alleine.“
Innerlich stimme ich ihr zu. Ich nicke trotzig.
„Er ist aufgebahrt. Du kannst ihm vor der Beerdigung Adieu sagen. Er sieht auch nicht schlimm aus. Es sieht aus, als ob er schläft.“
Wieder nicke ich trotzig. Wir verabschieden uns. Ich bin zornig. Ich will es irgendwie nicht verstehen. Ich will alleine Abschied von dir nehmen und nicht mit allen anderen. Wenn sie um deinen Sarg herumlaufen wie um ein Ausstellungsstück im Museum. Und wenn Fremde dabei sind, die schauen wollen, wer denn der Junge war, der so plötzlich verstorben ist.

Wir treffen uns bei einem Freund. Wir legen zusammen für einen schönen Kranz und für deine Eltern. Damit du ein schönes Grab bekommst. Immer noch erlebe ich alles wie in Trance. Alles nur so beiläufig. Es ist alles so unwichtig. Knapp 100 Mark bekommen wir zusammen. Und noch das Geld für einen schönen Kranz. Selbstverständlich mit dem damals noch nahezu kultigem Satz „Nur die Besten sterben jung. In tiefer Trauer – deine Freunde!“

Der Tag deiner Beerdigung. Ich habe dir einen Brief geschrieben. Den werfe ich dir mit ins Grab. Meine Mutter hat mir ein kleines Blumengebinde gekauft. Und Baldrian. Ob ich dich noch einmal sehen will, fragt sie mich. Ich nicke. Sie nimmt mich am Arm, ich schüttele ihre Hand „Nein Mama, ich möchte wenigstens halbwegs alleine.“ Sie nickt. Wie ich es mir gedacht habe, tummeln sich um deinen Sarg im Nebenraum der Kapelle viele Leute.
Du siehst schlimm aus. Deine Haut ist gelblich, aus deiner Nase schauen Fasern der blutigen Tamponaden heraus, deine Oberlippe ist nach oben gezogen wie bei einem Überbiss. Ich lache spöttisch auf. „Wie im Schlaf!“ Deine Feuerwehruniform haben sie dir angezogen. Ich wollte dich schon immer mal darin sehen, aber unter anderen Umständen. An deinem Kopf halte ich kurz inne, lege die Hand auf den kalten Glaskasten über deinem Sarg und sage „Gute Reise, mein bester Freund!“

Die Friedhofskappelle ist rappelvoll. Viele Gesichter, die ich kenne, aber auch einige wildfremde. Klar – dein Schicksal ist das Highlight hier auf dem Dorf. Der arme Junge! Ich stelle mich mit meiner Freundin an die Seitenwand der Kapelle. Deine Feuerwehrkameraden schieben deinen mittlerweile geschlossenen Sarg in die Kapelle. Ein gemeinsamer Freund von uns ist auch dabei. Man sieht, wie er mit den Tränen ringt und am ganzen Körper zittert.
Während der Pfarrer die Trauerrede hält, ruft deine Mutter den Namen deines Bruders. Dieser nimmt sie in den Arm. Und dann ruft sie dich. 3-4-5 mal. Der wohl mitreissenste Moment der ganzen Trauerfeier. Dein Sarg wird nach draußen gefahren. Auch der kleine Dorffriedhof ist rappelvoll. Ich stelle mich wieder mit meiner Freundin etwas abseits hin. Aber so, dass wir dein Grab sehen können. In meiner Sichtweite steht meine kleine Cousine. Sie ist jetzt 9 Jahre alt. Du warst so etwas wie ihre heimliche Liebe – wie es halt bei Mädchen in dem manchmal ist. Wir haben sie damit auch immer ein bisschen aufgezogen. Immer knallrot ist sie geworden, wenn sie dich gesehen hat. Weißt du noch? Und du bist derjenige, bei dem sie das erste Mal begreift, was es heißt, wenn jemand gestorben ist. Sie weint bitterlich am Jackensaum meiner Tante.
Mein Blick geht wieder auf dein Grab. Sie beginnen, deinen Sarg hinabzulassen. Deine Kameraden dürfen das tun. Alle weinen. Unser gemeinsamer Freund zittert so sehr, dass man zwischenzeitlich Angst hat, er könnte das Seil aus der Hand verlieren. Nachdem auch die Spitze deines Sargbouquets verschwunden ist, wird es mir das erste Mal bewusst. Du bist tot. Und du kommst nie wieder. Meine Freundin bemerkt meinen Zusammenbruch und nimmt mich in den Arm. Ich versenke den Kopf in ihre Schulter und schreie in ihren Schal. Man hört es nur, wenn man direkt daneben steht.

Ich gehe mit ihr zusammen erst recht zum Schluss an dein Grab um das Schäufelchen Erde auf deinen Sarg zu werfen. Ich werfe auch meinen Brief und meinen kleinen Blumenstrauß auf deinen Sarg. Deinen Eltern drücke ich die Hand. Deine Mutter nimmt mich gar nicht wahr, dein Vater drückt mich kurz.

Am Ende des Weges, an dem dein Grab liegt, steht mein Freund. Ihn hatte ich die ganze Zeit gar nicht wirklich an mich rangelassen. Er nimmt mich wortlos in den Arm, nickt meiner Freundin zu um sie zu verabschieden. Ich klammere mich regelrecht an ihn und weine. Er bringt mich zu seinem Auto, setzt mich auf den Beifahrersitz und fährt mit mir in die Weinberge hier in der Umgebung. Mitten in der Pampa stellt er das Auto ab und schaut mich an. „Steig aus. Steig aus und lass deine Wut raus.“ Ich weiß sofort, was er meint. Ich steige aus dem Auto, laufe 100m in die Weinberge hinein und schreie. Schreie und weine. Meine Trauer und mein Zorn der gesamten letzten Tage bricht aus mir heraus. Zuerst nur der Zorn. Wieso konntest du mir das antun? Warum bist du nicht zum Arzt?
Dann die Trauer. Nach bestimmt 10 Minuten breche ich weinend zusammen. Ich würde am liebsten hier und jetzt schlafen. Ich kann nicht mehr. Ich hab keine Kraft mehr.
Mein Freund nimmt mich in den Arm. Obwohl du ihn nie wirklich leiden konntest und wir immer gesagt haben, mehr als Freundschaft empfinden wir füreinander nicht – ein bisschen Eifersucht war immer dabei. Aber du siehst ja jetzt, dass er für mich da ist.
Ich lehne den Kopf an seine Schulter und flüstere. „Er ist tot, oder?“ „Ja. Er ist tot.“

Bis heute, nahezu 12 Jahre nach deinem Tod, habe ich es nicht übers Herz gebracht, dein Grab zu besuchen. Es ist wie damals. Vor deiner Krankenhaustür.
Und du weißt gar nicht, wie sehr ich dich immer noch vermisse.
Übrigens – den Kerl von damals hab ich in den Wind geschossen.
Und mein jetziger Mann. Du würdest ihn mögen, wirklich.
Meine Mutter meint, dass er wirklich verdammt viel Ähnlichkeit mit dir hat. Und wenn ich mir das so überlege und drüber nachdenke – sie hat recht.

Vielen Dank für dieses sehr anrührende Stück Laienliteratur.  Und vielen Dank, Schnepfi, dass ich deinen Text für meinen Blog verwenden durfte.